Interview mit Henrike und Mathias von der Kontaktstelle Wohnen; Foto: Yaro Allisat / LZ
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Was sieht eure alltägliche Arbeit als „Kontaktstelle Wohnen“ aus?
Mathias: Zu uns kommen Menschen, die einen Fluchthintergrund haben und sich in einer oftmals sehr schwierigen Wohnsituation befinden. Sie kommen und fragen nach Wohnraum beziehungsweise nach Unterstützung bei der Wohnraumsuche. Wir haben in Leipzig zwei Sprechstunden in der Woche, dienstags und mittwochs. Da kommen die Leute und wir registrieren ihren Bedarf. Das ist unsere Kernaufgabe: Unterstützung bei der Wohnraumsuche und beim Anmietungsprozess.
Daneben gibt es Themen, die mitlaufen und die immer größer werden. Das sind die Themen rund um Wohnberatung, also die Unterstützung bei Fragen rund um das Thema Wohnen, damit die Leute gut im Wohnraum klarkommen können. Also dass es da keine Dissonanzen gibt mit den Nachbarn, dem Vermieter oder den Behörden.
Wie hat sich eure Arbeit über die Jahre entwickelt?
M: In der Gründungsphase der Kontaktstelle Wohnen, das kenne ich auch nur vom Hörensagen, da war ich noch nicht dabei, war das hauptsächliche Ziel die dezentrale Unterbringung von Menschen. Als ich angefangen habe und auch schon davor, wollte die Stadtverwaltung die Menschen alle zentral an einem Ort, damals die Torgauer Straße 290, unterbringen. Damals hat es einen gesellschaftlichen Ruf gegeben, der gesagt hat: „Das finden wir nicht gut. Wir wollen, dass die Leute dezentral untergebracht werden.“
Das heißt, eigentlich nicht „untergebracht werden“ sondern „wohnen können“. Das war die Gründungsphase der Kontaktstelle Wohnen. Das lief am Anfang stark mit Ehrenamtlichen zusammen. Wir sind eine Art Beratungssituation eingegangen und haben Ehrenamtliche und Geflüchtete miteinander gematcht. Nachdem der Wohnungsmarkt immer angespannter geworden ist, sind wir nicht umhingekommen, die Wohnungssuche zu professionalisieren. Das war ungefähr 2017/18. In Teilenschritten arbeiten wir immer noch mit Ehrenamtlichen zusammen.
Welche spezifischen Schwierigkeiten haben Geflüchtete bei der Wohnungssuche?
M: Was uns immer wieder in Alltagsarbeit begegnet, sind rudimentäre Kenntnisse der deutschen Sprache. Einen Brief öffnen kann jeder, aber nicht jeder kann lesen und verstehen, was drin steht. Egal, ob es vom Jobcenter ist oder vom Vermieter, derjenige wird in Probleme geraten. Wenn die Dringlichkeit des Briefs nicht verstanden werden kann, können viele Institutionen, die dieses Land zur Verfügung stellt, wie zum Beispiel wir, nicht genutzt werden. Die Hilfesysteme, die es gibt, auch wenn es natürlich noch viel mehr geben müsste, können dann nicht in Anspruch genommen werden.
Das ist etwas, das klientenseitig da sein muss, um hier selbst in einen Alltag reinzukommen und zu verstehen was los ist. Bei den meisten ist das gegeben, häufig aber auch nicht. Daher ist es extrem wichtig, das Angebot für Sprachunterricht auszubauen.
Wir befinden uns gerade in einem Switch. Durch die angespannte Wohnraumsituation geht es natürlich schon viel um die Wohnraumsuche. Aber auch Wohnraum halten ist wichtig. Themen wie fristlose Kündigungen und Eigenbedarfskündigungen tauchen immer wieder auf. Wir tun im Hintergrund alles dafür, dass Menschen in ihrer Wohnung bleiben können und eine fristlose Kündigung wieder in ein normales Mietverhältnis umgewandelt werden kann.
Henrike: Eine weitere Schwierigkeit ist, dass der bezahlbare Wohnraum in Leipzig sehr knapp ist. Viele unserer Klient*innen sind darauf angewiesen, dass das Jobcenter oder das Sozialamt die Miete zahlt. Die wenigen Wohnungen, die es in diesem Preissegment gibt, sind total umkämpft. Geflüchtete sind in diesem Wettbewerb dann tendenziell benachteiligt, zum Teil durch Diskriminierung oder Vorurteile der Vermieter*innen.
Wie genau sieht die Diskriminierung aus?
H: Ich bin nicht in der Fallarbeit tätig, aber was ich von meinen Kolleg*innen mitbekomme, ist, dass Menschen, die Transferleistungen bekommen von Vermieter*innen immer wieder kategorisch ausgeschlossen werden. Manchmal ist es auch so, dass gesagt wird: „Wir haben schon so viele Geflüchtete oder Migrant*innen im Haus, wir wollen jetzt keine mehr nehmen.“
M: Es gibt Vermieter, die das offen sagen: „Wir wollen keine Ausländer. Das passt nicht ins Haus.“ Das sind meist die kleinen Vermieter, wo eine gewisse Professionalität nicht so gegeben ist. Die größeren wissen, was sie sagen müssen, damit sie nicht an geflüchtete Personen vermieten müssen.
Wie viele Menschen beratet ihr ungefähr?
M: Wir haben unsere Sprechstunden. Wenn man die Stadt Leipzig betrachtet, sind wir circa bei 200 Betroffenen im Monat. Wir haben dann zum Beispiel eine Familie, insgesamt drei Haushaltsmitglieder, die zu uns kommen, sich registrieren lassen und beraten werden.
H: Wir sind auch im Landkreis Leipzig und Nordsachsen tätig. Dort besuchen durchschnittlich 150 Betroffene unsere Sprechstunden. Wir haben ca. 200 registrierte Härtefälle, bei denen wir uns besonders beeilen Wohnraum zu finden. Das kann zum Beispiel sein, wenn durch Familiennachzug die Wohnung viel zu klein geworden ist, bei Krankheiten oder Familiennachwuchs.
Warum findet ihr es wichtig, dass die Menschen dezentral wohnen können?
H: Es ist eine große Strapaze, in den Unterkünften zu wohnen: Es gibt wenig Privatsphäre, es ist oft laut, Menschen haben unterschiedliche Tagesrhythmen und müssen sich arrangieren. Während Corona war es noch prekärer, weil die Schutzmaßnahmen kaum eingehalten werden konnten. Man ist da in einer Institution, die einem die Selbstbestimmung nimmt: Wo und wie ist man untergebracht, was gibt es zu Essen, Das hat ja alles nichts mit einer eigenverantwortlichen Lebensgestaltung zu tun. Es giebt dazu von Pro Asyl eine sehr gute Broschüre, wo viele Geflüchtete, die in den GUs (Gemeinschaftsunterkünften, Anm. d. Red.) leben, zu Wort gekommen sind. https://www.proasyl.de/news/bedeutet-unser-leben-nichts/
M: Ich denke, man kann das auch auf gesellschaftlicher Ebene betrachten: Als Gesellschaft ist es gut, wenn man weiß, wer da mit einem im Quartier oder in der Stadt lebt und man die Leute kennt. Das ist natürlich etwas ganz anderes, wenn sie irgendwo zentriert sind, vielleicht noch mit einem Zaun drum herum und einem Wachschutz, als wenn es die Nachbarin oder der Nachbar ist und man vielleicht mit Menschen ins Gespräch kommen kann und die Problemlagen, zu denen man sonst keinen Zugang hat, kennenlernt. Also dass man ein Stück weit die Lebenswirklichkeit teilt.
H: Das Leben in Gemeinschaftsunterkünften ist generell mit Isolation verbunden, je nachdem, wo die Gemeinschaftsunterkunft ist, und mit Stigmatisierung. Was man zuletzt im Oktober auch wieder gesehen hat, ist, dass zentrale Einrichtungen auch immer wieder Ziele von rechter Gewalt werden.
Es gibt immer wieder die Forderungen, dass es Gemeinschaftsunterkünfte oder Camps gar nicht mehr geben soll. Wie steht ihr dazu?
M: Grundsätzlich wäre es natürlich schön, wenn es keine Camps geben müsste. Wir unterhalten uns schon öfter darüber, einen Konsens haben wir aber nicht. Es macht ein Stück weit Sinn, dass die Menschen erstmal irgendwo ankommen können und einen Moment haben, in dem sie zur Ruhe kommen und die Lage checken können. Ähnlich wie beim Ankommenszentrum seinerzeit in der Telemannstraße: Wo die ganzen Formalitäten geklärt werden können. Aktuell gibt es einen politischen Wandel. Die Leute werden von den Behörden sogar dazu angehalten, aus den GUs auszuziehen. Das ist jetzt schon seit einigen Jahren so und das ist wirklich ein Sinneswandel. Aber für das erste Ankommen und Schauen, welche Personengruppen welche Bedürfnisse haben und um darauf besser eingehen zu können, finde ich eine kurze temporäre zentrale Unterbringung nicht ganz blöd.
Wenn die Leute alle direkt dezentral wohnen könnten, was ja in Leipzig gar nicht geht, da findet niemand mit einem Fingerschnippen die Wohnung, hat man Problemlagen, auf die man dann eventuell nicht mehr reagieren kann.
H: Wofür wir uns stark einsetzen ist ein möglichst schnelles, selbstbestimmtes und dezentrales Wohnen. Wir wollen immer wieder darauf aufmerksam machen, dass das der Schlüssel ist, um sich hier ein eigenständiges Leben aufbauen zu können und eine Chance auf einen Neustart zu haben. Wir wollen auch Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt immer wieder benennen.
Gibt es eine Geschichte, die euch besonders berührt hat?
M: Es gibt immer wieder Fälle, die besonders berührend sind. Da will ich gar keinen besonders herausheben. Was mich beschäftigt, ist, wenn zu den Alltagsfragen zum Thema Wohnen noch andere Themen obendrauf kommen. Ich habe letzens einen Fall einer Familie gehabt, die aus der Ukraine flüchten musste. Dann kam noch eine schwere Erkrankung des Kindes dazu, was an sich schon eine traumatische Erfahrung ist und wo man schnell reagieren muss. Damit müssen wir einen professionellen Umgang finden.
Ich finde viele Fälle aus den Frauenhäusern auch immer wieder krass. Da gibt es viele Fälle von Gewalt gegenüber Frauen oder teilweise auch gegenüber Kindern. Das ist schon heftig.
H: Es gibt Familienkonstellationen, für die es schwer ist, Wohnraum zu finden. Da sind es dann lange Suchprozesse, wenn sie nicht sogar aussichtslos sind. Es sind besonders große Familien, für die es immer sehr schwierig ist, überhaupt Wohnraum zu finden.
Habt ihr auch auf politischer oder gesellschaftlicher Ebene Forderungen?
M: Ich mache mal einen Vergleich: Die Situation, als der Ukraine-Krieg ausgebrochen ist, war sehr angespannt. In einem normalen Prozess der Wohnungssuche dauert das alles, also eine Wohnung zu bekommen, die Formulare und alles Behördliche zu klären, sechs bis acht Wochen. Als der Krieg ausgebrochen ist, hat man gesagt: „Wir verzichten auf bestimmte Prozesse der Bürokratie.“ Und dann hat man nur noch eine Woche gebraucht. In der Zeit konnten ganz viele Mietverträge abgeschlossen werden.
Da haben wir gesehen: „Wow, es geht auch ohne. Krass.“ Das hat den Leuten wriklich das Leben vereinfacht. Jetzt sind wir wieder beim Ursprungszustand zurück und da haben wir einfach Reibungsverluste. Gerade das Jobcenter hat aus meiner Sicht viele Aufgaben bekommen mit dem Bürgergeld und der Zuständigkeit für die Menschen aus der Ukraine. Die haben jetzt viel zu tun und das merkt man. Die Qualität der Arbeit leidet ein Stück weit darunter. Das kriegen die bestimmt wieder hin, aber momentan gehen einfach einige Sachen verloren auf dem Bürokratie-Weg.
Ein anderes Thema, das ich auch wichtig finde und was natürlich alle Vereine betrifft: Dieses jährliche Loslaufen, um Fördermittel zu bekommen und überhaupt diese Arbeit hier machen zu können. Damit sollte eine Gesellschaft anders umgehen. Ich nenne mal ein Beispiel: Wir bräuchten eigentlich andere Räume, weil sie nicht mehr angemessen sind, um eine ordentliche Beratung zu machen. Aber weil wir immer wieder in diesem jährlichen Förderrhythmus gefangen sind, ist es ganz schwer, umzuziehen. Das würde Mehrkosten bedeuten, von denen wir nicht wissen, ob wir sie eingehen können, weil wir nicht wissen, ob wir die Fördermittel bekommen.
H: Um nochmal auf das letzte Jahr und das Beginnen des Angriffskrieges zurückzukommen: Einige Dinge, die vorher undenkbar waren, gingen plötzlich. Das war erstmal toll. Viele private Vermieter*innen und Wohnraumfirmen sind auf uns zugekommen und haben uns Wohnungen zur Verfügung gestellt. Das hat uns die Arbeit unglaublich erleichtert und es hat dazu geführt, dass viele ukrainische Geflüchtete schnell Wohnraum bekommen haben.
Wir haben dann immer gefragt, ob auch Geflüchtete aus anderen Herkunftsländern in die Wohnung einziehen könnten. Auch das hat öfter funktioniert. Diese Form von Mithilfe durch die Vermieter*innen war ein schönes Erlebnis. Es wäre schön, wenn das für Geflüchtete aus allen Herkunftsländern aufrecht erhalten werden kann. Wir haben gesehen, dass es viel mehr Wohnraum gibt, als man denkt und einiges davon landet gar nicht auf dem Wohnungsmarkt.
M: Das ist frappierend zu sehen. Man fährt durch die Stadt und sieht all die leer stehenden Häuser. Allein hier auf der Georg-Schwarz-Straße oder auf der Lützner Straße. Das ist ein Unding. Wir erleben hier einen angespannten Wohnungsmarkt, wir wissen wie lange Leute brauchen, um eine Wohnung zu finden. Dabei haben wir natürlich nicht nur Geflüchtete im Blick, sondern alle. Und trotzdem ist es ökonomisch sinnvoller, die Häuser leerstehen zu lassen, anstatt dass Menschen darin wohnen.
Also an alle, die freien Wohnraum haben und nicht wissen wohin: Her damit! Wir finden jemanden dafür.